Jessica Beebone

Vom endlosen Wünschen, fehlerhaften Wahrnehmen und der Verortung im digitalen Medium (2005)

Wolkenberge ziehen über den Morgenhimmel, Bäche gluckern, Grillen zirpen vor rauschenden Laubbäumen. Wir sitzen im abgedunkelten Ausstellungsraum. Die Videoprojektoren werfen Landschaftsaufnahmen als gebündelte Lichtstrahlen an die Wand. Es sind Bilder, die in ihrem einnehmenden Stimmungsgehalt und Spannungsreichtum an Szenen aus Kinofilmen erinnern. Sie geben nicht nur ideale Landschaftspanoramen wieder - z.B. eine Flusslandschaft, einen Wolkenhimmel, Palmenstrand oder das Meeresufer - sondern suggerieren durch einen entsprechend unterlegten Sound die dazugehörigen sinnlichen Empfindungen auf eindrückliche Weise. Doch was auf den ersten Blick wie das Bild unberührter Natur erscheint, bleibt nicht beständig. Die eingehende Betrachtung der ruhigen Naturstücke bringt subtile Irritationen ans Licht, die sich mit der Zeit steigern, verselbständigen, ihr eigenes digitales Reservat erobern und die Wahrnehmung des Betrachters mit einer neuen, technisierten Realität besetzen.

Computergenerierte „Fehler“, die nur im digitalen Medium erzeugt werden können verunsichern Augen und Gehör. Störungen z.B. in Form von Farbrauschen, Pixelungen, fehlenden Frames, Interlacing verhindern, dass sich der Betrachter vollständig und widerstandslos auf die Darstellung einlassen kann. Das zu Beginn augenscheinlich versprochene romantische Bild der Einheit von Natur(darstellung) und (Natur)betrachtung wird nicht eingelöst. Die Momente der immer wieder und oftmals aggressiv auftretenden Störungen einer mimetischen Naturauffassung erlebt der Betrachter nicht nur als bewusste (Ent)Täuschung seiner Erwartung und Illusionen, sondern als permanente Verunsicherung seiner Wirklichkeitskoordinaten.

Die Künstlichkeit, die sich vor den einnehmenden Natureindruck schiebt, beunruhigt und verlangt nach einer Korrektur bisheriger Deutungsparameter. Wie „wirklich“ sind die gefilmten Szenen tatsächlich? Wirkt das Grillenzirpen nicht ungewöhnlich metallisch, erinnert das Geräusch des Windes nicht eher an ein Fernsehrauschen? Die Manipulationen am technisch erzeugten Bild und seinen Bildinhalten werden offensichtlich. Zunehmend entzieht sich das Dargestellte dem Betrachter, rückt ab in eine unerreichbare Ferne. Formal entspricht dieser Eindruck der Fragilität, Transparenz und Ungreifbarkeit der Videobilder.

Die Grenze zwischen der Erhabenheit einer idealisierten Naturvorstellung und der digitalen Wirklichkeit, zwischen banalem Klischee und der ästhetischen Natur banaler Technik oszilliert. Dazwischen tun sich visuelle und akustische Lücken auf, die vom Bildinhalt losgelöst allein auf die mediale Oberfläche Bezug nehmen. Sie verstärken den Eindruck des „lost in space“. Welcher Realität kann ich meine Wahrnehmung anvertrauen: der Ästhetik des technischen Produktes oder einer Naturempfindung, die so „wahrhaftig“ ist wie das computergenerierte Videobild, das sie erzeugt? Die Frage wo wir uns konkret befinden - reflektiert auch in der unbestimmbaren Lokalisierbarkeit der gefilmten Orte - bleibt offen.
Obwohl Bild und Ton offensichtlich ihren Ursprung in der selben Szene haben, lassen sich Wahrnehmungsreize nicht übereinstimmend verorten. Sie vermitteln einen Zustand, der dem Gefühl nahe kommt, sich „zwischen den Orten“ zu befinden. Akustik und Visualität entziehen sich einer objektiven Zuschreibung, werden zu Soloakteuren und wenden sich getrennt voneinander dem Hören und Sehen des Rezipienten zu. Dieser Zustand wird von der Künstlerin in ihren Installationen, die an den jeweiligen Raumsituationen ausgerichtet sind, präzisiert und zum Teil mit einander gegenübergestellten Doppelprojektionen noch weitergeführt.

Im Mittelpunkt der Videoarbeiten von Christine de la Garenne steht der Zweifel am Sichtbaren, am vermeintlich Realen. Aus der Perspektive einer distanzierten Protokollantin, mit dem Blick für die verdeckten und sensiblen Kontaktstellen zwischen Realität und Irrealität, thematisiert die Künstlerin die Wahrnehmung von Wirklichkeit und Inszenierung. Als wahrhaft vorausgesetzte Vorstellungen werden von der Wirklichkeit einer digital erzeugten Ästhetik irritiert und demontiert. Demgegenüber steht das Bedürfnis des Betrachters, die vielschichtigen Informationen zu ordnen, zu einem Ganzen zusammenzufügen, einen Anfang und ein Ende zu finden.
Hier enthüllt sich in den Videoarbeiten eine, wenn man so will, psychologische Komponente: der Wunsch nach Vollendung und physischer Fassbarkeit, der sich zum Begehren steigern kann, wenn er auf Hindernisse stößt. Hindernisse die die digitalen Störungen darstellen, die Christine de la Garenne in ihren Videoarbeiten eingebaut hat. Sie zeigen: nicht das Begehren enthüllt das Hindernis; das Hindernis enthüllt das Begehren. Diesem Wunsch kommt die Künstlerin jedoch nur auf ironische Distanz nahe. Videoloops zeigen für einen Moment die flüchtige Erhabenheit des „vollständigen“ (leibhaftigen) Bildes, das sich sofort einer Verschleierung unterzieht, um auf’s Neue zu zerfallen. Dahinter werden zwei paradox anmutende Bedeutungsebenen sichtbar. Zum einen wirkt die Destruktion des Abbilds in ihrer kompromisslosen Wiederholung absurd. Zum anderen offenbart sich im Augenblick zwischen Aufbau und Zerstörung, Erscheinen und Verschwinden, zwischen Stillstand und Bewegung das „momentum“: die irrationale Lücke, die ein vollkommener Seinszustand ausfüllt - für die Dauer eines Wimpernschlags und bis zum wiederholten Auftauchen und der Sichtbarkeit der vermeintlich realitätsbildenden Darstellung.